Nachbericht: „Die Verfolgung der Mainzer Sinti zwischen 1933 und 1945“ am 7. März 2023


In der Nacht vom 15. auf den 16. Mai 1940 wurde ein Großteil der Mainzer Sinti* durch die Schutz- und Kriminalpolizei verhaftet und im städtischen Polizeigefängnis inhaftiert. Am helllichten Tag des 16. Mai wurden sie zum Güterbahnhof in der Mombacher Straße gebracht und von dort aus in das Sammellager Hohenasperg deportiert. Der Politikwissenschaftler Herbert Heuß, der lange Jahre in der Bürgerrechtsbewegung der Sinti* und Roma* in Deutschland arbeitete und wissenschaftlicher Leiter im Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma war, widmete sich in seinem Vortrag der Verfolgungsgeschichte der Mainzer Sinti*.

Im Rahmen der Themenwochen gegen Antiziganismus organisierten wir gemeinsam mit dem Landesverband Deutscher Sinti und Roma und der Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg gleich mehrere Vorträge, die die Dimension des Völkermordes an den Sinti* und Roma*, die regionale Verfolgungsgeschichte sowie die Nachkriegszeit beleuchteten.

Nach einer Begrüßung durch die Leiterin des Hauses des Erinnerns, Dr. Cornelia Dold, stellte Jacques Delfeld Jr., Geschäftsführer des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Rheinland-Pfalz, die neu geschaffene Melde- und Informationsstelle Antiziganismus Rheinland-Pfalz (kurz MIA RLP) vor.


Herbert Heuß legte in seinem anschließenden Vortrag den Fokus auf die regionale Verfolgungsgeschichte der Mainzer Sinti* in der Zeit zwischen 1933 und 1945, weitete seine Betrachtung aber auch immer wieder auf die Nachkriegszeit aus. Die Verfolgungsmaßnahmen gegen Sinti* und Roma* seien eine Art Probeverfahren für den späteren Völkermord an den Jüdinnen*Juden gewesen, dies zeigen vorrangig auch die systematischen Deportationen. Nachdem Sinti* und Roma* bereits ab Oktober 1939 auf Anordnung Heinrich Himmlers ihre Wohnsitze nicht mehr verlassen durften, fanden im Frühjahr 1940 die ersten systematischen Deportationen statt. In Mainz wurden 107 Sinti* am 16. Mai 1940 aus der Stadt deportiert. Herbert Heuß machte deutlich, wie viele Menschen an diesen Deportationen beteiligt waren, oder aber von ihnen profitierten. Beispielhaft seien hier nur Reichssicherheitshauptamt, Deutsche Reichsbahn und örtliche Kriminalpolizeistellen genannt. Der Deportationszug führte die Mainzer Sinti* gemeinsam mit vielen weiteren Sinti* aus Rheinhessen und der Pfalz in das Sammellager Hohenasperg bei Stuttgart. Dort führte man eine ‚rassenbiologische Untersuchung‘ durch, nach der 22 Personen des Transportes als ‚Nicht-Zigeuner‘ eingestuft wurden und nach Hause durften. Alle anderen Personen dieses Transportes wurden sechs Tage später mit einem weiteren Sonderzug in das ‚Generalgouvernement Polen‘ in verschiedene Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Nur wenige Sinti* erlebten das Kriegsende. Die Stimmen derjenigen, die die NS-Zeit überleben konnten, band Herbert Heuß in seinem Vortrag ein. So las er an verschiedenen Punkten aus den Erinnerungen ehemaliger Mainzer Sinti*, mit denen er bereits in den 1990er-Jahren Interviews führen konnte. Dadurch erhielten die interessierten Teilnehmenden einen eindrucksvollen Einblick in die Erfahrungen der Mainzer Sinti*, die in ihren Erinnerungen über die Verfolgungsmaßnahmen, Deportationen, aber auch die Rückkehr nach Mainz sprachen.

Immer wieder spannte der Referent auch den Bogen in die unmittelbare Nachkriegszeit, in dem er verdeutlichte, dass die Verfolgung und Vernichtung der Sinti* und Roma* in dieser Zeit weder international noch national eine Rolle spielten. So schilderte Herbert Heuß, dass Personen und Institutionen, die maßgeblich an diesen Verbrechen beteiligt waren, weitgehend nahtlose Biografien in der Nachkriegszeit aufweisen. Strafprozesse gegen Täter*innen gab es so gut wie keine, oder sie wurden nach kürzester Zeit wieder eingestellt. Hingegen mussten Sinti* und Roma* lange Jahre darum kämpfen, dass die ihre Verfolgung und Vernichtung als Völkermord anerkannt und Überlebende eine Wiedergutmachung erhielten. Oftmals wurden Sinti* und Roma* eine Wiedergutmachungszahlung abgesprochen, seien sie doch nicht aus rassischen Gründen verfolgt worden.

Die sich anschließende Frage- und Diskussionsrunde zeigte das große Interesse an dem Thema des Vortragsabends. Viele Teilnehmende waren vor allem darüber entsetzt, wie wenig juristisch aufgearbeitet die Verfolgung an Sinti* und Roma* ist und wie vehement Überlebende um Wiedergutmachung kämpfen mussten. Ein weiterer Grund dafür, dass die Gesellschaft auch heute noch existierendem Antiziganismus entschieden entgegentreten sollte. Wir danken dem Referenten für den informativen und wichtigen Vortrag.

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