Philipp Scheidemann

geb. Philipp Heinrich Scheidemann

26. Juli 1865–29. November 1939

sozialdemokratischer Politiker und Publizist, verkündete am 9. November 1918 in Berlin die Republik

Foto: Bundesarchiv / 146-1970-051-17 / Grohs, Alfred / ©CC-BY-SA 3.0


„Wir haben auf der ganzen Linie gesiegt, das Alte ist nicht mehr. Ebert ist zum Reichskanzler ernannt […]. Es gilt nunmehr, den errungenen Sieg zu festigen, daran kann uns nichts mehr hindern. Die Hohenzollern haben abgedankt. Sorgt dafür, daß dieser stolze Tag durch nichts beschmutzt werde. Er sei ein Ehrentag für immer in der Geschichte Deutschlands. Es lebe die deutsche Republik.“

Mit diesen Worten rief Philipp Scheidemann am 9. November 1918 von einem Balkon des Reichstagsgebäudes in Berlin die Republik aus. Er wurde am 26. Juli 1865 in Kassel geboren und entstammte einer Handwerkerfamilie. In Kassel besuchte er auch Volks-, Bürger- und Realschule, absolvierte im Anschluss eine Lehre zum Schriftsetzer und Buchdrucker. Bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr arbeitete er in diesem Beruf. 1895 gab er diesen schließlich auf und war für verschiedene sozialdemokratische Zeitungen tätig. So arbeitete er zunächst als Redakteur für die Mitteldeutsche Sonntagszeitung, dann für die Fränkische Tagespost in Nürnberg, das Offenbacher Abendblatt sowie das Casseler Volksblatt.

Bereits 1883 war Scheidemann als überzeugter Sozialist in die durch Bismarcks ‚Sozialistengesetze‘ verbotene SPD eingetreten. Bei der Reichstagswahl 1903 zog er erstmals für den Wahlkreis Düsseldorf in den Reichstag des Kaiserreichs ein. In den Jahren 1907 und 1912 wurde er wiedergewählt. Scheidemann wurde als erster Sozialdemokrat 1912 zu einem der Vizepräsidenten des Reichstages gewählt. Da er jedoch den Antrittsbesuch beim Kaiser verweigerte, konnte er dieses Amt nicht antreten. Nach dem Tod August Bebels 1913 übernahm er gemeinsam mit Hugo Haase den Vorsitz der SPD-Fraktion. Bis 1918 behielt er diese Funktion inne. Erst von Juni bis Oktober 1918 übte er dann tatsächlich das Amt des Vizepräsidenten aus. Gerade durch seine rhetorischen Fähigkeiten, sein bürgerliches Auftreten und seinen Humor erlangte Scheidemann auch über die eigenen Parteigrenzen hinweg großes Ansehen.

Während des Ersten Weltkrieges vertrat Scheidemann eine Position zwischen dem linken und rechten Flügel seiner Partei und trat für einen Verständigungsfrieden ein, in dem es zu keinen Annexionen und Kriegsentschädigungen kommen sollte. Nach der Abspaltung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) 1917 wurde Scheidemann neben Friedrich Ebert erneut in den Parteivorstand der SPD gewählt.

Nach der Verkündung der Abdankung Kaiser Wilhelms II. legte Scheidemann gemeinsam mit anderen sozialdemokratischen Regierungsmitgliedern sein Amt als Staatssekretär nieder. Gegen 14 Uhr rief er von einem Balkon am Berliner Reichstag die „deutsche Republik“ aus. Damit kam er Karl Liebknecht zuvor, der etwa zwei Stunden später vom Balkon des Berliner Schlosses die „freie sozialistische Republik“ ausrief.

Im weiteren Verlauf der Novemberrevolution wurde Scheidemann Mitglied des Rates der Volksbeauftragten, in dem er insbesondere für die Finanzpolitik zuständig war. Dieser Rat war bis zum 13. Februar 1919 die provisorische Regierung Deutschlands und gestaltete den Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik. Im Januar 1919 wurde Scheidemann in die Weimarer Nationalversammlung gewählt. Bei der Wahl zum Reichspräsidenten im Februar desselben Jahres, in der er gegen Friedrich Ebert kandidierte, unterlag er, wurde jedoch von Ebert mit der Regierungsbildung betraut und amtierte als Reichsministerpräsident.

Während sich Scheidemann gegen die Unterzeichnung des Versailler Vertrages aussprach, befürwortete die Mehrheit der SPD dessen Annahme. So sah sich Scheidemann zu einem Rücktritt gezwungen. Bis 1933 blieb er Reichstagsabgeordneter und lange Jahre Fraktionsvorstand der SPD. Später trat er vor allem als Redner bei Veranstaltungen des Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold auf und wurde zum Sprecher derjenigen, die mit den Regierungsvertretern unzufrieden waren.

Von 1920 bis 1925 war Scheidemann Oberbürgermeister in seiner Heimatstadt Kassel. In dieser Zeit wurde er am 4. Juni 1922 Opfer eines Attentatsversuches. Während eines Spaziergangs mit seiner Tochter spritzten ihm mehrere Männer Blausäure ins Gesicht, konnten ihn jedoch nicht verletzen.

Nach der ‚Machtübernahme‘ der Nationalsozialisten musste Scheidemann emigrieren. Als einer der führenden sozialdemokratischen Politiker der Weimarer Republik gehörte er in besonderem Maß zum Feindbild der Nationalsozialisten. Nur wenige Tage nach dem Reichstagsbrand floh er nach Salzburg. Über die Tschechoslowakei, die Schweiz, Frankreich und die USA gelangte Scheidemann 1935 nach Dänemark. Bereits 1933 wurde ihm die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. Trotz schwerer Krankheit beobachtete Scheidemann die Situation in Deutschland aufmerksam und veröffentliche seine Einschätzungen in der dänischen Arbeiterpresse unter einem Pseudonym.

Am 29. November 1939 verstarb Philipp Scheidemann in Kopenhagen. Heute ist er vor allem als glänzender und bedeutender Redner sowie für die Ausrufung der Republik 1918 bekannt. Mit seinen Worten begann die Weimarer Republik, die erste parlamentarische Demokratie in Deutschland.


Die Weimarer Republik

Als Philipp Scheidemann am 9. November 1918 von einem Fenster des Reichstagsgebäudes in Berlin die erste deutsche Republik ausrief, waren die Hoffnungen in die erste gesamtdeutsche Demokratie groß. Nach vier Jahren voller Entbehrung, Tod und Elend hofften die Deutschen, dass nun endlich bessere Zeiten folgen werden. Doch die zum Teil hohen Erwartungen konnten nicht erfüllt werden. Das lag auch daran, dass die Ausgangslage nicht ideal war. Zum einen belastete die Niederlage des Ersten Weltkrieges das Land schwer. Durch den Versailler Vertrag wurde das deutsche Heer auf 100.000 Mann reduziert, das Gebiet westlich des Rheins durch alliierte Truppen bis Ende der 1920er-Jahre besetzt, und Deutschland die alleinige Kriegsschuld gegeben, was große Empörung innerhalb der Bevölkerung auslöste. Zudem kamen hohe Reparationszahlungen, die die Weimarer Republik von Beginn an finanziell belasteten. Die Revision des Versailler Vertrages sollte bis zum Ende der Republik eines der Hauptthemen sein, welches extremen rechten Parteien Auftrieb gab. Außerdem kamen durch den Krieg 2,7 Millionen verwundete Soldaten wieder, die genauso wie die 600.000 Witwen und 1,2 Millionen Waisen staatliche Leistungen beziehen mussten.

Zum anderen war die Parteienlandschaft eine große Herausforderung für die junge Republik. Klar demokratische Parteien waren die Arbeiterpartei SPD, die linksliberale DDP und das katholisch-konservative Zentrum. Sie bildeten die „Weimarer Koalition“, wie die erste Regierung genannt wurde. Die SPD war bis 1932 die stärkste Kraft im Parlament und war in den meisten Regierungen vertreten. Zudem stellte sie mit Friedrich Ebert den ersten Reichspräsidenten (1919–1925). Auch die DDP war an den meisten Regierungen beteiligt. Zu Beginn der Republik bildete die DDP mit 17,3% der Stimmen eine der größten Fraktionen, nahm aber bis 1933 stark ab und war schließlich nur noch eine kleine Splitterpartei. Die Zentrumspartei war bis 1932 an allen Regierung beteiligt und stellte fünf Kanzler. Als konservative Partei vertrat sie vor allem die Interessen der katholischen Bevölkerung. Diese drei Parteien waren klare Verfechter des demokratischen Systems, doch im Laufe der Zeit wurden auch verfassungsfeindliche Parteien stärker. Die KPD bildete am linken Rand eine kommunistische Partei, die Deutschland nach russischem Vorbild umbauen wollte. Am rechten Rand waren zunächst die DNVP, die wieder zu einem monarchischen System zurückkehren wollte und später die faschistische NSDAP angesiedelt. Bei den Wahlen 1932 herrschte im Reichstag eine „negative Mehrheit“, da die antidemokratischen Parteien über 50% der Stimmen bekamen (KPD: 14%, NSDAP: 37%). Somit war das Parlament quasi handlungsunfähig, da die extremen Parteien die parlamentarische Arbeit boykottierten. Zudem gab es keine Beschränkungshürde, so dass viele Kleinstparteien einziehen konnten, die das Parlament weiter polarisierten.

Zunächst stabilisierend, dann aber eher destruktiv, war das Amt des Reichspräsidenten. Ähnlich wie der heutige Bundespräsident, war er das Staatsoberhaupt. Zudem hatte er aber weitere umfassende Kompetenzen. Der Präsident konnte den Kanzler und die Regierung einsetzen. Daher brauchte sie nicht zwingend die Mehrheit im Parlament. In der Ära Eberts als Präsident löste das keine größeren Probleme aus, doch Paul von Hindenburg (1925–1934) setzte regelmäßig neue Regierungen ein. Daher spricht man ab 1930 auch von der Zeit der „Präsidialkabinette“. Hindenburg war es auch, der 1933 Adolf Hitler zum Reichkanzler machte und somit das Ende der Weimarer Republik besiegelte. Insgesamt gab es in den 14 Jahren 16 Regierungen, was viele Bürger*innen „politikmüde“ machte und den demokratiefeindlichen Parteien einen immer höheren Zuspruch brachte. Zudem konnte der Reichspräsident den Reichstag auflösen und Neuwahlen erzwingen.

Neben der Kriegsniederlage und der polarisierten Parteienlandschaft gab es zahlreiche weitere Faktoren, die es der Weimarer Republik schwer machten. Beispielsweise gab es verschiedene Putschversuche (Lüttwitz-Kapp-Putsch 1920, Hitlerputsch 1923) und Wirtschafts- und Finanzkrisen (Hyperinflation 1923, Weltwirtschaftskrise 1929). Diese verunsicherten die Bevölkerung und lockten somit weitere Wähler*innen zu radikalen Parteien. Gerade die Weltwirtschaftskrise 1929 und die daraus resultierende Massenarbeitslosigkeit und Massenverelendung gelten als Faktoren für den Aufstieg der Nationalsozialisten und das Ende der Republik.

Dennoch gab es auch gerade Mitte der 1920er eine Phase der Stabilisation, in der sich eine Konsumgesellschaft herausbildete. Kulturell entwickelten sich viele neue Bewegungen und beispielsweise Rundfunkgeräte und Theater- und Kinobesuche fanden ihren Weg in den Alltag der breiten Bevölkerung. Auch politisch kehrte unter dem Reichskanzler bzw. Außenminister Gustav Stresemann (1923–1929) etwas Ruhe ein, da er außenpolitische Erfolge, wie die Senkungen der Reparationszahlungen oder die internationale Anerkennung als führende Macht, feiern konnte. Außerdem sind als ein großer Erfolg der Weimarer Republik nicht nur die ersten freien, gleichen und demokratischen Wahlen, sondern vor allem auch die ersten Wahlen, an denen Frauen aktiv und passiv teilnehmen durften zu nennen.


Literaturhinweise:

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