Gustav Heinemann


geb. Gustav Walter Heinemann

23. Juli 1899–7. Juli 1976

Jurist und Volkswirtschaftler, Mitglied der „Bekennenden Kirche” in der NS-Zeit und erster sozialdemokratischer Bundespräsident

Foto: Bundesarchiv


„Meine Damen, meine Herren, wir stehen erst am Anfang der ersten wirklich freiheitlichen Periode unserer Geschichte. […] Nicht weniger, sondern mehr Demokratie – das ist die Forderung, das ist das große Ziel, dem wir uns alle und zumal die Jugend zu verschreiben haben.“ Mit diesen Worten trat Gustav Heinemann am 1. Juli 1969 sein Amt als Bundespräsident an.

Gustav Walter Heinemann wurde am 23. Juli 1899 in Schwelm/Westphalen geboren und wuchs in Essen als Sohn von Johanna und Otto Heinemann in einem liberalen Elternhaus auf. Nachdem er das Notabitur 1917 absolvierte, ging er zum Militär, wurde aber aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Front eingesetzt. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs studierte er Rechtswissenschaften, Volkswissenschaften und Geschichte in Münster, Marburg, München, Göttingen und Berlin. Während seiner Studentenzeit schloss er sich der Studentengruppierung der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) an. 1926 heiratete Heinemann die angehende Theologin Hilda Ordemann, mit der er vier Kinder bekam. Durch seine Frau fand er zu seinem evangelischen Glauben, der seinen weiteren Werdegang stark prägen sollte.

Er erwarb zwei Doktortitel und bestand beide Staatsexamen mit der Note „gut“. Nach seinem Studium übte er den Beruf des Anwalts aus und arbeitete als Prokurist bei den Rheinischen Stahlwerken. Während der nationalsozialistischen Herrschaft arbeitete Heinemann zudem als Dozent in Köln und wurde aktives Mitglied der bekennenden Kirche, die Widerstand gegen die Kirchenpolitik der Nationalsozialisten leistete. Nach dem Krieg begann die politische Laufbahn Heinemanns. Zunächst war er als Gründungsmitglied der CDU von 1946 bis 1949 Oberbürgermeister Essens und 1947 bis 1950 Mitglied des Landtags Nordrhein-Westphalens. Außerdem baute er als erster NRW-Justizminister 1947/48 dieses Ministerium auf und leitete es anschließend.

Als erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland nahm Konrad Adenauer Heinemann 1949 als Innenminister in sein erstes Kabinett auf. Auch hier prägte er das Ministerium als erster Amtsträger maßgeblich, doch 1950 folgte sein Rücktritt. Grund dafür war Adenauers Versprechen an die Westalliierten, westdeutsche Streitkräfte für den Koreakrieg bereitzustellen. Da diese Entscheidung aber nicht mit dem Kabinett abgestimmt war und Heinemann als Pazifist strikt gegen die Wiederbewaffnung und zudem gegen die Annäherung an den Westen war, trat er schließlich von seinem Amt zurück.

Seine neue politische Heimat fand er zunächst in der von ihm 1952 gegründeten Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP), die in den Wahlen jedoch nicht erfolgreich war. Nach der Auflösung der GVP 1957 fand Heinemann endgültig einen neuen Platz in der SPD. Für sie saß er auch ab 1958 im Bundestag. Hier kämpfte er gegen Adenauers Politik an. In der Großen Koalition 1966 bis 1969 führte Heinemann mit dem Justizministerium erneut ein Bundesministerium. Hier setzte er sich für umfassende Rechtsreformen ein, wie die Abschaffung der Verjährung von Mord. Somit konnten nationalsozialistische Verbrechen auch noch 25 Jahre nach den Taten bestraft werden.

Mit der neuen Regierung Willy Brandts (SPD) 1969 schied Heinemann aus dem Kabinett aus und konnte sich im dritten Wahlgang knapp gegen seinen Konkurrenten Gerhard Schröder (CDU) bei der Wahl zum Bundespräsidenten durchsetzen. In diesem Amt verstand er sich als volksnahen „Bürgerpräsidenten“, der hinter der Ostpolitik Willy Brandts stand. Durch zahlreiche Staatsbesuche von zum Teil im Zweiten Weltkrieg besetzten Ländern leistete er seinen Beitrag für die Versöhnung mit einigen europäischen Staaten. Zudem setzte er sich für das bürgerliche Ehrenamt, Zivilcourage und Mitbestimmung der Bevölkerung ein.

Auch für die deutsche Erinnerungskultur spielte er eine Rolle, da er die „Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte“ in Raststatt und den Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten ins Leben rief. Schließlich starb er zwei Jahre nach seiner Amtszeit als Bundespräsident am 7. Juli 1976 in Essen. Er galt überparteilich als „unbequemer Demokrat“, der hart für seine demokratischen Überzeugungen einstand und in verschiedenen Zeiten für eine bessere Welt kämpfte.


Wiederbewaffnungsdebatte

Anfang 1950 war es in der noch sehr jungen Bundesrepublik für viel Bürger*innen schwer vorstellbar, dass es bald wieder eine deutsche Armee geben werde. Doch mit dem Ausbruch des Koreakrieges am 25. Juni 1950 wandelten sich die Sicherheitswahrnehmungen der Westdeutschen dramatisch. So befürchteten nach dem Kriegsausbruch 53% der befragten Bürger*innen, dass ein neuer Weltkrieg ausbrechen könnte, während nur drei Monate zuvor 74% dies noch als unrealistisch einstuften. Aufgrund dieser neuen Gefahr wandelte sich auch die Ablehnung der Westmächte gegen eine Wiederbewaffnung Deutschlands, da nun der Sicherheitsbeitrag Westdeutschlands entscheidend werden konnte. Sowohl auf Seiten der NATO als auch auf Seiten Deutschlands gab es bereits vor dem Krieg Überlegungen über eine Wiederbewaffnung. Auch der Bundeskanzler Konrad Adenauer selbst war der Idee einer Armee gegenüber offen eingestellt. Allerdings wollte er einen Sicherheitsbeitrag nicht ohne Gegenleistung erbringen. Daher legte er bei der Außenministerkonferenz der Westalliierten Anfang September 1950 zwei Memoranden vor. In diesen forderte er für den Militärbeitrag Souveränität und Gleichberechtigung für das noch immer unter dem Besatzungsstatuts stehende Westdeutschland. Dieses Verhalten stimmte er allerdings nicht mit seinem Kabinett ab, weshalb der Innenminister Gustav Heinemann aus der Regierung zurücktrat.

Auch zwischen den westlichen Staaten gab es verschiedene Positionen zur Wiederbewaffnung. Zunächst die USA, dann aber auch Großbritannien und weitere westeuropäische Staaten sprachen sich für die Wiederbewaffnung der BRD aus, um ein Bollwerk gegen die Rote Armee zu schaffen. Frankreich hingegen lehnte die Wiederbewaffnung ab, da man aus historischer Sicht eine erstarkende deutsche Armee befürchtete. Klar war aber zu diesem Zeitpunkt für alle, dass es keine deutsche Armee, sondern deutsche Beteiligungen an NATO-Truppen, oder einer neugegründeten europäischen Armee geben solle. Somit wollte man auch Frankreich dazu bringen zuzustimmen. Die letztere Idee schien sich zunächst durchzusetzen, scheiterte schließlich jedoch am französischen Parlament.

Auch innerhalb der Bundesrepublik wurde die Frage der Wiederbewaffnung kontrovers diskutiert. Obwohl man denken könnte, dass die Westdeutschen angesichts des Koreakrieges in dieser Frage nun deutlich hinter Adenauer standen, gab es auch große Gegenbewegungen. Der Zweite Weltkrieg war erst einige Jahre vergangen und die Angst vor der noch klareren Trennung der beiden deutschen Staaten durch eine Armee wuchs. Auch die Opposition sprach sich gegen Adenauers Verhalten aus. Beispielsweise Erich Ollenhauer (SPD), der dafür plädierte, zunächst die Souveränität zu verhandeln, bevor man sich auf Verhandlungen für den Verteidigungsbeitrag einließe. Daneben gab es auch außerparlamentarisch Proteste. Zum einen von der von Gustav Heinemann (zuvor CDU) und Helene Wessel (zuvor Zentrum) geführten pazifistischen Gruppe „Notgemeinschaft für den Frieden Europas“, welche 1952 in die „Gesamtdeutsche Volkspartei“ aufging, die aber nie größere politische Erfolge erzielen konnte, und zum anderen von der Kirche. Von evangelischer Seite engagierte sich z.B. Martin Niemöller stark gegen die Wiederbewaffnung. Er warf Adenauer „Volksbetrug“ vor, da kein Wähler 1949 bei der Wahl Adenauers hätte ahnen können, dass dieser das Land wiederbewaffnen wolle. Auch aus der Bevölkerung heraus entstand die „Ohne mich“-Gegenbewegung, welche breite Zustimmung fand. So waren Ende 1950 je nach Umfrage bis zu zwei Drittel der Bevölkerung gegen die Wiederbewaffnung.

Letztlich setzte sich Adenauer jedoch durch. In der Londoner Neun-Mächte-Konferenz wurde beschlossen, dass die BRD eine eigene Armee bekommt und den Militärbündnissen NATO und Westeuropäische Union (WEU) beitritt. Dafür musste sie auf die Herstellung atomarer, chemischer und biologischer Waffen verzichten. Somit konnte sich auch die BRD an den Verteidigungsvorhaben des Westens beteiligen. Für ihren Beitrag erhielt die BRD allerdings auch die Souveränität. Diese Souveränität wurde schließlich durch die Pariser Verträge, die 1955 in Kraft traten, definiert. Von nun an war das Besatzungsstatut beendet und die Bundesrepublik Deutschland unabhängig, mit Ausnahme der Zuständigkeiten der Westmächte über Westberlin und der gesamtdeutschen Fragen.


Literaturhinweise:

Blume, Dorlis; Zündorf, Irmgard: Gustav Heinemann, in: LeMo-Biografien, Lebendiges Museum Online, URL: <https://www.hdg.de/lemo/biografie/gustav-heinemann.html#jpto-top> [aufgerufen am 10.03.2022].

Dann, Otto: Gustav Heinemann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, URL: <http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/gustav-heinemann/DE-2086/lido/57c8298d0f00b5.84597363> [aufgerufen am 11.03.2022].

Grau, Andereas/ Würz, Markus: Souveränität, in: Lebendiges Museum Online, URL: <https://www.hdg.de/lemo/kapitel/geteiltes-deutschland-gruenderjahre/weg-nach-westen/souveraenitaet.html> [aufgerufen am 25.04.2022].

Gustav Heinemann (1896–1986), URL: <https://www.demokratie-geschichte.de/koepfe/2417> [aufgerufen am 11.03.2022].

Heinemann, Gustav: Ansprache beim Amtsantritt als Bundespräsident, 245. Sitzung des Bundestages, URL: <https://www.bundestag.de/resource/blob/486422/13face838cee1c3e1029e84adb3f8e9d/05-Gemeinsame-Sitzung-von-Bundestag-und-Bundesrat-am-1-Juli-1969-data.pdf > [aufgerufen am 06.04.2022].

Kleinert, Hubert: Das geteilte Deutschland. Die Geschichte 1945–1990, Wiesbaden 2019.

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