Zum Gedenken an Sophie Scholl

Heute, am 9. Mai 2021, wäre Sophie Scholl 100 Jahre alt geworden. An diese außergewöhnliche junge Frau, die als Widerstandskämpferin von den Nationalsozialisten ermordet wurde, möchten wir heute ganz besonders erinnern.

Die Widerstandskämpferin Sophie Scholl

Am 9. Mai 1921 wurde Sophie Scholl als viertes von sechs Kindern des Ehepaares Robert und Magdalena Scholl in Forchtenberg am Kocher in Württemberg geboren.
Sophie Scholl war gemeinsam mit ihrem Bruder Hans Teil der sechsköpfigen Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. Mithilfe von Flugblättern riefen sie zum Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime auf und beriefen sich dabei auf ein christliches und humanistisches Weltbild. Insgesamt verbreitete diese Gruppe zwischen Juni 1942 und Februar 1943 sechs Flugblätter. Die ersten dieser Flugblätter verfassten Hans Scholl und Alexander Schmorell; ab wann genau Sophie Scholl aktiv wurde, ist nicht bekannt. Während sie sich mit den ersten Flugblättern an Akademiker*innen wandten, die sie persönlich kannten, richteten sie die beiden letzten Flugblätter an einen weitaus größeren Kreis. So verteilten und versendeten sie die Blätter auch nicht mehr nur, sondern streuten sie auch an öffentlichen Plätzen wie in Telefonzellen, auf Autos oder vor dem Münchner Hauptbahnhof.

Im Februar 1943 begann die Gruppe der „Weißen Rose“ noch gewagtere Aktionen, mit denen sie sich an die Mehrheit des Volkes wenden wollten. So verteilten sie Flugblätter über Postämter und führten mehrere Malaktionen mit Parolen wie „Nieder mit Hitler!“ und „Freiheit!“ aus. Am 18. Februar verteilten Hans und Sophie Scholl ihr sechstes Flugblatt an der Münchner Universität. Bei dieser eher spontanen Aktion entschieden sie sich dazu, das Flugblatt in den Lichthof der Universität zu werfen – eine Aktion, die der Hausschlosser Schmid bemerkte. Er hielt das Geschwisterpaar fest und alarmierte die Geheime Staatspolizei.

So wurde die erst 21-jährige Sophie Scholl gemeinsam mit ihrem Bruder Hans am 18. Februar 1943 in München von der Gestapo verhaftet. Nur vier Tage später wurden die Geschwister gemeinsam mit Christoph Probst vor dem Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und noch am selben Tag, dem 22. Februar 1943, im Strafgefängnis München-Stadelheim hingerichtet.

Neues Buch von Simone Frieling über Sophie Scholl

Die Mainzer Autorin und Malerin Simone Frieling widmet sich in ihrem neuen Buch „Sophie Scholl. Aufstand des Gewissens“ dem Leben der Widerstandskämpferin. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Hommage an Sophie Scholl, sondern vielmehr um ein vielschichtiges Porträt einer außergewöhnlichen jungen Frau. So zeichnet Simone Frieling anhand vieler historischer Dokumente wie Briefe und Aufzeichnung ein Bild fernab des Heldinnenmythos. Die Frage, die im Fokus steht: Woher kam die Kraft und der Wille, Widerstand zu leisten? Keine einfache Frage, waren Sophie und Hans, aber auch ihre Schwester Inge Scholl doch zu Beginn der NS-Diktatur glühende Anhänger*innen des Systems.

Die Kinder, die in der Hitlerjugend und dem Bund Deutscher Mädchen aktiv waren – Sophie Scholl stieg hier bis zur Gruppenleiterin auf – gerieten oftmals in Konflikt mit ihren Eltern, die die nationalsozialistische Ideologie ablehnten.
Letztlich waren es wohl doch das Elternhaus, aber auch die Literatur sowie die Natur, die Sophie Scholl zur Widerstandskämpferin werden ließen. So waren es die Stimme der Literatur sowie der Gedanke der Individualität in der Natur, die Sophie Scholl vom Nationalsozialismus abkehren ließen. Die totalitäre Herrschaft Adolf Hitlers, die sämtliche Freiheiten im politischen, aber auch persönlichen Raum unterdrückte, standen den christlichen Werten des Elternhauses diametral entgegen. Als Sophie und Hans Scholl von Gewaltverbrechen gegen Jüdinnen*Juden erfuhren, wurde den Geschwistern klar, dass reine Diskussionen im Elternhaus oder im Freundeskreis nicht genügten: sie wollten Widerstand leisten!

Auszug aus Simone Frielings Werk über Sophie Scholl:

Bei einem Treffen der Gauleiterin in Stuttgart mit der Leiterin aus dem Untergau in Ulm schockiert Sophie sogar ihre Schwester Inge. Als die Lektüre für die ‚Heimabende‘ ausgewählt werden soll, schlägt Sophie mit Vehemenz den jüdischen Dichter Heinrich Heine vor. Die älteren Mädchen reagieren entsetzt und lehnen den Wunsch ab. Sophie bleibt nur, leise zu sagen, wer Heinrich Heine nicht gelesen habe, kenne die deutsche Literatur nicht.
Obwohl Sophie das Lernen leicht fällt, geht sie im Laufe der Jahre immer weniger gern zur Schule. Der Unterricht spricht ihre Sinne nicht an, befriedigt ihre künstlerische Natur nicht und vor allem engt er sie ideologisch ein. Mit achtzehn hofft sie auf das Ende der Schulzeit: ‚O wie bin ich froh, wenn ich fertig mit ihr bin. Es kommt mir vor, als müsse ich dort durch ein kleines viereckiges Fenster mit braunen Scheiben sehen.‘
Die ‚braunen Scheiben‘ sind wie eine getönte Brille, die das Dritte Reich seinem Volk verordnet hat, damit es durch sie nur das sieht, was die Diktatur wünscht. Sophie hingegen will schon als Schülerin auf alles eine freie Sicht haben – das verlangt ihr Gefühl –, und ihr Geist verlangt, sich eine eigene Meinung bilden zu können.
An erster Stelle empört sie der Krieg. Am 9. April 1940, als die Nordland-Invasion mit der Besetzung Dänemarks beginnt, schreibt Sophie an Fritz [Hartnagel]: ‚Manchmal graut mir vor dem Krieg, und alle Hoffnung will mir vergehen. Ich mag gar nicht daran denken, aber es gibt ja bald nichts anderes mehr als Politik, und solange wie sie verworren ist und böse, ist es feige, sich von ihr abzuwenden. Wahrscheinlich lächelst Du und denkst, sie ist ein Mädchen.‘ Aber ‚man hat uns eben politisch erzogen‘. Mit ‚man‘ meint sie ihren Vater, ihr Elternhaus und dann die Verhältnisse in einer Diktatur, die sie regelrecht dazu zwingen, politisch zu denken.
Für ihre Freundin Susanne Hirzel, die in Stuttgart Musik studiert, ist die Verwandlung Sophies bei einem letzten Besuch unübersehbar. ‚Andeutungen von Flugblattaktionen‘ habe sie gemacht, Susanne gebeten, an Zusammenkünften in München teilzunehmen. Während die beiden durch die Stadt gehen, um Hans zu treffen, der Eugen Grimmiger aufgesucht hat, um Geld für die Weiße Rose zu erbitten, bleibt Sophie plötzlich stehen. Sie sagt: ‚Wenn hier Hitler mir entgegenkäme und ich eine Pistole hätte, würde ich ihn erschießen. Wenn es die Männer nicht machen, muss es eben eine Frau tun.‘
Ohne es zu wissen, hat Sophie Scholl hier den Satz wiederholt, den ihr Vater 1937 im Beisein seiner ältesten Tochter Inge über Hitler und seine Helfer geäußert hat, nachdem seine Kinder wegen ‚bündischer Umtriebe‘ von der Gestapo verhaftet worden sind: ‚Wenn die meinen Kindern etwas antun, gehe ich nach Berlin und knalle ihn nieder!‘ Inge erinnert sich: ‚Einen solchen Satz vergisst man nicht, weil er das Gefühl gibt: Du stehst auf Granit. Du hast jemanden hinter dir. Das ist wichtig in solchen Zeiten.‘
Umgekehrt weiß Robert Scholl nichts von der Bekundung seiner Jüngsten in Stuttgart. Aber am Ende weiß er es doch, weiß es ganz genau: Sie ist ganz und gar sein Kind, Kind der Familie Scholl.

Simone Frieling: Sophie Scholl. Aufstand des Gewissens © ebersbach & simon, Berlin 2021.

Grafiken: © Simone Frieling

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