Elisabeth Selbert

geb. Martha Elisabeth Rohde

22. September 1896–9. Juni 1986

Juristin, sozialdemokratische Politikerin und eine der vier „Mütter des Grundgesetzes”


Elisabeth Selbert gilt als eine der „Mütter des Grundgesetzes“. Mit ihrer Arbeit im Parlamentarischen Rat war sie maßgeblich für die rechtliche Gleichheit von Mann und Frau verantwortlich.

Sie wurde am 22. September 1896 als Martha Elisabeth Rohde in Kassel geboren und verstarb am 9. Juni 1986 im Alter von 89 Jahren. Selbert war die zweite von vier Töchtern der Eheleute Georg Rohde, Gefangenenaufseher, und Eva Elisabeth Rohde, Hausfrau, und wuchs kleinbürgerlich und protestantisch, aber relativ unpolitisch in Kassel auf. Nach dem Besuch der Volksschule und der Realschule musste sie diese als Mädchen ohne Mittlere Reife verlassen und konnte aus finanziellen Gründen kein Gymnasium besuchen. Dafür besuchte sie ein Jahr lang die Kasseler Gewerbe- und Handelsschule des Frauenbildungsvereins.

Nachdem sie während des Ersten Weltkrieges als Postgehilfin tätig war, lernte sie während der Novemberrevolution 1918 ihren zukünftigen Mann Adam Selbert kennen. Dieser war Sozialdemokrat und brachte auch seine Frau schnell zur SPD. Nach verschiedenen Tätigkeiten für die Partei holte sie 1926 ihr Abitur nach, um anschließend Rechtswissenschaften in Marburg und Göttingen zu studieren. Nach ihrem ersten Staatsexamen 1930 promovierte sie über das sogenannte „Zerrüttungsprinzip“ im Scheidungsrecht, welches einen der beiden Eheleute benachteiligte. Ihr Vorschlag, der in dieser Arbeit thematisiert wurde, wurde in den 1970er-Jahren in der Bundesrepublik Deutschland umgesetzt.

Nach ihrem zweiten Staatsexamen konnte sie sich als eine der letzten Frauen 1934 – kurz bevor das NS-Regime Frauen den Zugang zu Anwaltsberufen verwehrte – noch eine Zulassung als Anwältin beschaffen. In Kassel führte sie eine Kanzlei, die sie von zwei jüdischen Rechtsanwälten übernommen hatte und in der sie sich juristisch für Menschen, die vom NS-Regime verfolgt und diskriminiert wurden einsetzte.

Nach dem Krieg war sie als Unbelastete in der neuen Justizverwaltung von Kassel tätig. Zudem zog sie für die SPD 1946 in den Hessischen Landtag ein, in dem sie bis zum Ende ihrer politischen Laufbahn 1958 ein Mandat innehatte. Nachdem Selbert 1946 schon Mitglied der Verfassungsberatenden Landesversammlung Hessens war, wurde sie von der niedersächsischen SPD 1948 in den Parlamentarischen Rat nach Bonn geschickt. Dort arbeitete sie als eine von nur vier Frauen unter 65 Abgeordneten am neuen Grundgesetz.

Besonders wichtig war ihr Antrag, die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern in das Grundgesetz niederzuschreiben. Dieser Antrag wurde zunächst abgelehnt, doch aufgrund des massiven öffentlichen Drucks, der von Selbert aufgebaut werden konnte, stimmte der Parlamentarische Rat am 18. Januar schließlich einstimmig für den Antrag. Im Grundgesetz wurde daher in Artikel 3.2 die Formulierung „Frauen und Männer sind gleichberechtig.“ aufgenommen. Bei den Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag am 14. August 1949 scheiterte Selbert knapp, woraufhin sie sich auf die Landespolitik konzentrierte.

1956 wurde ihr das Große Bundesverdienstkreuz verliehen und durch den 1983 vom Land Hessen geschaffenen Elisabeth-Selbert-Preis für journalistische Arbeiten über Gleichstellung und die Situation von Frauen soll sie auf besondere Art und Weise geehrt werden. Mit der durch sie niedergeschriebenen Gleichstellung der Geschlechter hatte sie rückblickend einen großen Einfluss auf die deutsche Justiz, da viele Gesetze, insbesondere Eheregelungen, angepasst werden mussten, die noch aus dem Kaiserreich stammten.

Selbert selbst betrachtete sich aber nicht als „Frauenpolitikerin“, da sie als Sozialdemokratin vor allem hinter der Politik ihrer Partei stand. Dennoch setzte sie sich nach ihrer politischen Laufbahn als Anwältin dafür ein, dass Frauen vor der Ehe eine abgeschlossene Berufsausbildung machen konnten.


Das Grundgesetz

Mit der nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgten Aufteilung des Deutschen Reichs in vier Besatzungszonen stellte sich in Deutschland die Frage, wie es mit dem geteilten Land weitergehen sollte. Im Januar 1947 schlossen die USA und Großbritannien ihre Besatzungszonen zur „Bi-Zone“ zusammen. Mit der französischen Besatzungszone wurde im April 1949 aus der Bi- die „Tri-Zone“. Doch den Westalliierten war klar, dass sie einen westdeutschen Staat im gerade beginnenden Kalten Krieg brauchten. Dafür stellten die Militärgouverneure am 1. Juli 1948 Forderungen an die westdeutschen Ministerpräsidenten zur Gründung eines Weststaats und zum Verfassen eines Besatzungsstatuts, das das Verhältnis zwischen diesem Staat und den Besatzern definierte.

Die ersten Sitzungen über diese sogenannten „Frankfurter Dokumente“ fanden im Koblenzer Hotel Rittersturz vom 8. bis zum 10. Juli 1948 statt. Die Ministerpräsidenten lehnten es zunächst allerdings ab, eine Verfassung für einen neuen Staat zu schreiben, da somit ein gesamtdeutscher Staat in weite Ferne rücken würde. Daher beschloss man zunächst, ein „Grundgesetz“ auszuarbeiten, das den provisorischen Charakter des neuen Staates unterstreichen sollte. Auch das Organ, das dieses Grundgesetz ausarbeitete, sollte nicht „Nationalversammlung“, sondern „parlamentarischer Rat“ heißen, da es nicht das gesamte deutsche Volk vertrat. Am 21. und 22. Juni 1948 folgte eine weitere Konferenz bei Rüdesheim und vom 10. bis zum 23. August 1948 wurden beim Verfassungskonvent auf Schloss Herrenchiemsee schließlich die ersten Richtlinien ausgearbeitet, die als Vorlage für das tatsächliche Gesetz dienen sollten.

Diese Vorlagen bearbeite der Parlamentarische Rat, welcher am 1. September 1948 im Bonner Museum König zusammenkam. Er bestand aus 61 „Vätern“ und vier „Müttern“ des Grundgesetzes, die aus den Länderparlamenten entsendet wurden. Die CDU/CSU und die SPD hatten jeweils 27 Sitze, während FDP, DP, KPD und das Zentrum jeweils über drei Mandate verfügten. Die fünf Delegierten aus Westberlin hatten nur eine beratende Funktion inne. Unter den Mitgliedern befanden sich bereits viele Personen, die in der späteren Bundesrepublik von großer Bedeutung sein sollten. Beispielsweise war Carlo Schmid Vorsitzender des Hauptausschusses, Konrad Adenauer Präsident des Rats und viele weitere Mitglieder spätere Minister und Bundestagsabgeordnete. Auch der erste Bundespräsident Theodor Heuss und der langjährige SPD-Fraktions- und Parteivorsitzende Erich Ollenhauer waren Mitglieder des Parlamentarischen Rats.

Nach einigen Monaten der Beratung fand schließlich die Abstimmung über das neue Grundgesetz statt. Am 8. Mai 1949 – vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges – stimmten 53 für und 12 gegen den Entwurf. Nachdem auch die westlichen Besatzungsmächte sowie alle Länder, mit der Ausnahme von Bayern, ihre Zustimmung erteilt hatten, trat das Grundgesetz am 23. Mai 1949 in Kraft. Diese Entwicklungen wurden natürlich auch in der sowjetischen Besatzungszone wahrgenommen. Auch hier hielten viele zunächst an der Idee einer gesamtdeutschen Lösung fest. Um die Gründung eines westdeutschen Staates zu verhindern, wurde die „Berlin-Blockade“ errichtet, die von Juni 1948 bis Mai 1949 sämtliche Zugänge nach Westberlin blockierte. Doch nachdem klar war, dass auch diese drastischen Mittel die Gründung eines westdeutschen Staates nicht aufhalten konnten und die BRD gerade gegründet war, wurde auf dem 3. Deutschen Volkskongress am 29. und 30. Mai 1949, der aus Mitgliedern der SED bestand, eine Verfassung für die Deutsche Demokratische Republik beschlossen. Dieser Prozess fand in enger Absprache mit der Sowjetunion statt. Am 7. Oktober 1949 wurde schließlich auf dem Gebiet der SBZ die DDR gegründet.

Das Grundgesetz reiht sich in die Tradition früherer deutscher Gesetzestexte ein. Zu Beginn stehen 19 Artikel, die die Grundrechte umfassen. Dieser Grundrechtskatalog orientiert sich zum Teil sogar wortgetreu an der Reichsverfassung von 1849. In den weiteren Artikeln wird die föderale Organisation, die Aufteilung der wichtigsten Organe und ihre Kompetenzen sowie die Ausführung von Gesetzen und Verwaltung geregelt. Mit den Grundrechten, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, dem Föderalismus und dem Sozialstaatsgrundsatz sind die wichtigsten Bausteine des deutschen Staates mit der Ewigkeitsklausel versehen. Das heißt, dass selbst eine normalerweise verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit im Parlament diese Artikel nicht abschaffen kann. Außerdem wurde – anders als in den bisherigen Verfassungen – die Gleichheit von Mann und Frau niedergeschrieben. Dies traf jedoch zunächst auf großen Widerstand, gegen den sich letztlich die Delegierten Elisabeth Selbert und Frieda Nadig, die den Vorschlag initiiert hatten, durchsetzen konnten. Das Grundgesetz kann auch als ein Lernprozess der vorherigen Verfassungen gesehen werden. Nach den Erfahrungen der NS-Zeit und der Weimarer Republik fallen verschiedene Veränderungen im Vergleich zu den bisherigen Verfassungen auf. Zum einen ist auffallend, dass die Rolle des Bundespräsidenten nun fast nur noch auf repräsentative Kompetenzen beschränkt ist. Hingegen wurde der Kanzler deutlich gestärkt. Außerdem wurde das Parlament gestärkt, indem es über umfassende Kontrollkompetenzen, wie ein Misstrauensvotum verfügt. Zum anderen ist die Position der Grundrechte direkt zu Beginn auffallend.

Auch heute noch gilt das Grundgesetz, und keine neue Verfassung. Aber anders als vor über 70 Jahren, hat es keinen provisorischen Charakter mehr, sondern nahm nach der Wiedervereinigung 1990 klar die Rolle als ganzdeutsche Verfassung ein.



Literaturhinweise:

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Grau, Andreas; Lepper-Binnewerg, Antoinette; Würz, Markus: Entstehung der Bundesrepublik: Parlamentarischer Rat und Grundgesetz, in: Lebendiges Museum Online, <URL: https://www.hdg.de/lemo/kapitel/nachkriegsjahre/doppelte-staatsgruendung/entstehung-der-bundesrepublik-parlamentarischer-rat-und-grundgesetz.html > [aufgerufen am 30.03.2022].

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Vorländer, Hans: Warum Deutschlands Verfassung Grundgesetz heißt, <URL: https://www.bpb.de/themen/nachkriegszeit/grundgesetz-und-parlamentarischer-rat/38975/von-den-londoner-empfehlungen-zum-grundgesetz/ > [aufgerufen am 30.03.2022].

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