Im Gespräch mit … Martina Ruppert-Kelly


Martina Ruppert-Kelly, Leiterin des pädagogischen Dienstes in der Gedenkstätte KZ Osthofen, gibt uns einen Einblick in historisch-politische Bildungsarbeit und Gedenkstättenpädagogik in der momentanen Situation. Wie sieht Gedenkstättenpädagogik während der Corona-Pandemie aus?


Interview: Dr. Cornelia Dold & Janika Schiffel | Mai 2020


Zur Person
Martina Ruppert-Kelly leitet seit 2010 für die Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz den pädagogischen Dienst in der Gedenkstätte KZ Osthofen. Sie studierte Deutsch und Geschichte auf Lehramt an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Bereits während ihres Studiums arbeitete sie in der Gedenkstätte KZ Osthofen, zunächst als freie Mitarbeiterin, ab 2008 dann als Angestellte der LpB Rheinland-Pfalz. Sie ist 45 Jahre alt und lebt mit ihrer Familie in Neustadt an der Weinstraße.



Vor welche Herausforderungen sind Gedenkstätten momentan gestellt?

„Die erste Herausforderung war es, die Arbeit aus der Gedenkstätte ins Homeoffice zu verlagern. Zwar war Arbeit im Homeoffice auch vorher schon möglich, aber für die ganze Belegschaft hat uns das dann doch vor einige – vor allem technische und organisatorische – Herausforderungen gestellt.
Nachdem das geschafft war, ist es nun wichtig, mit den Besucher*innen in Kontakt zu bleiben, auch wenn ein physischer Besuch der Gedenkstätte nicht möglich ist. Es gilt zu überlegen, welche Angebote wir machen können, sodass ‚unsere‘ Themen wie Nationalsozialismus, Demokratie und Menschenrechte weiter im Gespräch bleiben. Es droht die Gefahr, dass die Corona-Krise viele andere Themen überlagert. Gerade daher ist es wichtig, im Gespräch zu bleiben und sich Gehör zu verschaffen, denn Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus sind ja nicht weg – nur momentan vielleicht nicht so präsent.”


Worin sehen Sie momentan die zentrale Aufgabe der Gedenkstätte KZ Osthofen?

„Wir arbeiten momentan an digitalen Angeboten: Wie können wir digital/online Führungen anbieten, wie können wir unsere Projekttage umstellen und bearbeiten, dass sie zum Beispiel in den Schulen durchgeführt werden können, ohne dass der Besuch der Gedenkstätte notwendig ist? Wir halten es für sehr wichtig, die ‚Vorzüge‘ der Gedenkstätte KZ Osthofen, wo die Mechanismen der ‚Machtergreifung‘ der Nationalsozialisten, der Übergang von der Demokratie in die Diktatur sehr greifbar sind und durch die Regionalität sehr nah bei den Besucher*innen, auch in digitalen Angeboten zu erhalten und vor allem auch den Schulen zur Verfügung zu stellen.
Außerdem möchten wir versuchen, mit den Besucher*innen im direkten Kontakt zu bleiben. Daher denken wir über Live-Angebote sowie einen Ausbau der Social-Media-Aktivitäten nach, um auch weiterhin möglichst viel Feedback zu bekommen. Dazu die technischen Voraussetzungen zu schaffen, ist auch eine Herausforderung.”


Wie kann historisch-politische Bildungsarbeit in Krisenzeiten stattfinden und gelingen?

„Ich bin sehr angetan von dem enormen Ausmaß an Kreativität, das die Krise freigesetzt hat, auch in der historisch-politischen Bildung. Das sollten wir uns zunutze machen; digitale Angebote bieten auch Chancen, beispielsweise um neue, andere Zielgruppen zu erreichen und neue Themen in den Fokus zu stellen.
Wichtig ist und bleibt der Austausch – untereinander durch Vernetzung und mit den Nutzer*innen durch Gesprächsangebote.”


Die Gedenkstätte KZ Osthofen muss momentan leider geschlossen bleiben – Welche Projekte können trotzdem fortgeführt und umgesetzt werden? Wie schafft man es, trotzdem seinem bildungspolitischen Auftrag sowie dem Gedenkauftrag gerecht zu werden?

„Wir versuchen momentan, viele unserer Angebote in die ‚digitale Welt‘ zu übertragen. Eine erste Online-Führung gibt es seit vergangenem Sonntag, weitere werden folgen. Auch unsere Projekttagsangebote werden zurzeit überarbeitet und digitalisiert, sodass wir sie den Schulen für die Arbeit in der Schule oder sogar für das Homeschooling anbieten können. Des Weiteren versuchen wir, beispielsweise über unsere Social-Media-Kanäle, auch das Gedenken aufrechtzuerhalten. So ist zum Beispiel eine Social-Media-Aktion zur aktuellen „Woche der Meinungsfreiheit” geplant.”


Wie kann Gedenken in Zeiten von Social Distancing funktionieren, wenn viele Menschen nicht mehr an die tatsächlichen historischen Orte kommen können und dürfen?

„Auch hier gilt es, kreativ zu werden und zu versuchen, auch online mit Menschen ins Gespräch zu kommen, sie zu vernetzen und ihnen eine Plattform zu bieten. Sehr gelungen fand ich zum Beispiel die Aktion der Kolleg*innen der Gedenkstätte Flossenbürg, die anlässlich des Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Statements, Fotos und Videos von ehemaligen Häftlingen, Angehörigen und andere gesammelt und diese dann online veröffentlicht haben.”


Die Gedenkstätte KZ Osthofen lebt normalerweise von vielen Besucher*innen – insbesondere von zahlreichen Schulgruppen – Welchen Eindruck hinterlässt das Gelände bei Ihnen, wenn es nun vollkommen leer ist?

„Es ist tatsächlich etwas sonderbar, das Gelände so verwaist zu sehen. Aber auch hier gilt, das Beste daraus zu machen und Dinge zu erledigen, die nicht so leicht machbar sind, wenn Besucher*innenverkehr herrscht: So gibt es Pläne für die Umgestaltung des Foyers, was nun angegangen werden soll, auch Um- und Aufräumarbeiten können gut erledigt werden, sodass alles bereit ist, wenn Besucher*innen wieder kommen können.”


Wie beurteilen Sie die Entwicklungen rechtspopulistischer und rassistischer Strömungen? Was können und müssen Gedenkstätten im Hinblick auf unser demokratisches Zusammenleben in Zukunft leisten?

„Wie schon gesagt, die Corona-Krise überlagert momentan vieles, was ja aber dadurch nicht weg ist. Im Gegenteil, Skepsis gegenüber dem Staat und Verschwörungstheorien blühen auf, gerade Rechtspopulisten werden sich das zunutze machen. Gedenkstätten wollen und sollen Orte demokratischen Handels sein und es ist unsere Aufgabe, immer wieder auf Missstände aufmerksam zu machen, die Menschen zu sensibilisieren und ihnen Lösungsansätze aufzuzeigen – ob analog oder digital.”


Es wird eine Zeit nach der Krise geben: Was wünschen Sie sich in Zukunft für die Gedenkstättenpädagogik und die Erinnerungskultur in Deutschland? Welche Lehren könnte man aus der momentanen Ausnahmesituation ziehen?

„Ich hoffe, dass viel von der Kreativität und auch der Flexibilität, die die Krise hervorgebracht hat, bestehen bleibt – allgemein und auch für die Gedenkstätten. Dass es möglich ist, neue Wege zu gehen, Dinge auszuprobieren, auf neue Art und Weise zu kommunizieren und damit vielleicht auch Menschen zu erreichen, die sich bisher für Gedenkstätten und Erinnerungskultur nur wenig interessiert haben. Gedenkstätten sollen weiterhin Orte des Gesprächs sein, die sich deutlich und auf vielen Kanälen zu Wort melden, um gegen Rassismus, Antisemitismus und Extremismus vorzugehen.”

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